Meine Rede im Sächsischen Landtag zur Fachregierungserklärung zum Thema: „Energiewende in Sachsen aktiv gestalten – eine gute Zukunft für den Freistaat sichern“
Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 21.09.2022, TOP 9
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
endlich reden wir wieder einmal über die Energiewende und wie wir sie in Sachsen aktiv gestalten und beschleunigen können. Denn Fakt ist eins: Wer nicht selbst gestaltet, der wird gestaltet. Leider wird die Energiewende aktuell nur als Randthema wahrgenommen. Viel drängender erscheinen Fragestellungen der aktuellen Gas- bzw. Energiepreiskrise und die Sicherstellung der Versorgungssicherheit in den kommenden Monaten. Selbstverständlich ist das nur die deutsche bzw. europäische Sichtweise. Denn während wir hier Euro und Kilowattstunden zählen, zählt man in der Ukraine Tote in Massengräbern.
Die Energiewende und die Energiekrise haben sich überlagert und wir dürfen sie nicht gegeneinander ausspielen. Niemandem ist geholfen, wenn jetzt der energiepolitische Rollback herbeigeredet wird. Nach dem Lösen der aktuellen Probleme trifft uns dann die Klimakrise nur umso härter. Die Zusammenhänge zwischen globalpolitischer Lage, dem Energie- und Wirtschaftssystem Europas und den sozialen Auswirkungen der aktuellen Situation sind wahnsinnig komplex! Ich finde es da schon erstaunlich, mit welch einfachen Lösungen hier teilweise auf die Krise reagiert werden soll. Ich hab mal ein kleines Best-of zusammengestellt, beispielsweise:
- Nordstream I im März mit leeren Speichern selbst abdrehen
- Nordstream II aufdrehen und dann dort auch null Kubikmeter pro Tag erhalten
- man könne komplett darauf verzichten, Gas zu verstromen, gute Nacht!
- Sparen wäre kein Teil der Lösung des Problems
- Sanktionen müssten zurückgenommen werden, obwohl es keine für Gas gibt!
Wenn man die Debatte so verfolgt, kommt man fast zu dem Eindruck, dass eine Populismusabschöpfungssteuer einen veritablen Beitrag zum Lösen der Problem leisten könnte. Ich möchte an dieser Stelle allen Akteurinnen und Akteuren danken, die an echten Lösungen für die Energiekrise bzw. der Energiewende interessiert sind und sich konstruktiv in die Debatte einbringen. Denjenigen, den es wichtig ist, dass in dieser Situation nicht weiter gespaltet wird, kein Wählerfang am rechten Rand gemacht wird und nicht in einer Querfront demonstrieren oder die warme Wohnung gegen den Krieg in der Ukraine ausspielen. Die Maßnahmen zur Bewältigung der Krisen müssen bundesweit, eigentlich sogar auf EU-Ebene gedacht werden. Dass in der EU an einem Mechanismus zum Abschöpfen und Umverteilen von Zufallsgewinnen gearbeitet wird, begrüße ich ausdrücklich.
Dennoch möchte ich an dieser Stelle noch einmal die Forderung der BÜNDNISGRÜNEN-Fraktion bekräftigen, der sächsischen Wirtschaft, den Stadtwerken und der Bevölkerung – insbesondere den Schwächsten der Gesellschaft – durch ein eigenes sächsisches Sofortprogramm schnell und unbürokratisch zu helfen.
Doch zurück zur grundsätzlichen energiepolitischen Debatte bzw. zur Energiewende und deren Umsetzung.
Ich sprach gerade von unterkomplexen Kommentaren. Die auch durch ständige Wiederholung nicht richtiger werden. Ich möchte mir im Folgenden die Zeit nehmen, mit den größten Fakenews aufzuräumen, die in den vergangenen Wochen geäußert wurden.
Fangen wir mit dem Grundsätzlichen an:
These 1 – Die Energiewende sei gescheitert
An dieser Stelle muss ich natürlich kategorisch widersprechen. Kein Mensch würde ein Fußballspiel nach 15 Minuten abpfeifen. Wie kann man also 20 Jahre vor dem Ziel behaupten, dass die Energiewende gescheitert wäre? Das ist einfach nur falsch und Wasser auf die Mühlen der Klimakrisenleugner.
Worauf wir uns einigen können, ist, dass die Energiewende verschlafen, verschleppt und in Teilen absichtlich verhindert wurde. Es gab und gibt weiterhin einen Kampf um jedes einzelne Windrad. Fakt ist, dass wir gerade wegen des Krieges in der Ukraine die Energiewende schneller als bisher geplant umsetzen müssen. Wir können uns auch nichts anderes mehr leisten. Bei jeder Veranstaltung, bei der ich teilnehmen durfte, erklärten alle unisono – ob Industriebogen Meißen, BMW, VW, WFS, envia, die Stadt Leipzig usw. –, dass Unternehmen zwingend nach grüner Energie fragen. Gelingt es uns nicht bald, diese bereitzustellen, werden wir abgehängt.
Und dass es auch geht, möchte ich Ihnen gern zeigen. Ich war bei der Eröffnung der beiden größten und modernsten Windkraftanlagen, zwei mal sechs Megawatt, im Windpark Sitten eingeladen. Und wissen Sie, was es dort nicht gab? Protest! Dort gab es Bier, Kuchen, Bratwurst, eine Hüpfburg und Musik. Die Feuerwehr war auch da! Party und Windkraft geht also zusammen. Da entsteht kein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum! Besonders wenn die Kommunen auch noch rund 30.000 Euro pro Jahr und Windrad erhalten. Es gab allerdings eine Sache, die mich gestört hat, das will ich Ihnen nicht vorenthalten: der ständige Lärm der A14.
These 2 – Aber die Grundlast!
Gerne wird auch das angebliche Totschlagargument angeführt, dass erneuerbare Energien ja gar nicht zur Deckung der Grundlast befähigt wären? Aber jemand, der immer wieder von der fehlenden Grundlast erzählt, hat sich nicht mit dem Stromsystem einer postfossilen Zukunft beschäftigt. Die Frage ist doch, wie viel Grundlast – also konstant benötigte Stromerzeugung – brauchen wir denn in einem Stromsystem, das zum größten und weiter wachsendem Teil aus erneuerbaren Energien gespeist wird? Zur Erinnerung: Der Plan ist, bis 2030 80 Prozent Erneuerbare im System zu haben. Besser geeignet, um zu verstehen, was wir künftig brauchen, ist der Begriff der Residuallast. Dieser beschreibt den Bedarf an Stromerzeugung, der übrig bleibt, wenn man die erneuerbare Erzeugung vom Gesamtstromverbrauch abzieht. Diese Residuallast ändert sich naturgemäß ständig und kann auch null oder negativ sein, wenn mehr erneuerbare Erzeugung als aktueller Bedarf im System ist. Was wir brauchen, sind also schnell reagierende Spitzenlastkraftwerke und die Möglichkeit zum Energiespeichern.
Diese Flexibilität im Stromsystem ist das genaue Gegenteil von Grundlastkraftwerken, die darauf ausgelegt sind, möglichst immer wie ein „Strich“ durchzulaufen. Die Erzählung von der Notwendigkeit von Grundlastkraftwerken dient ausschließlich dem Zweck, Braunkohle und Atomstrom eine Daseinsberechtigung in einem zukünftigen Stromsystem zuzuschreiben, die sie schlicht nicht haben. Denn immer dann, wenn mehr Strom im Netz ist, als verbraucht werden kann, sind die trägen Kohlekraftwerke natürlich viel zu langsam, um flexibel runter und wieder hochfahren zu können. Folglich müssen Sonnen- und Windstrom abgeregelt werden, um Überlasten zu vermeiden. Das Phänomen tritt bereits heute auf. So wurden 2020 bundesweit circa 6 Terawattstunden, also rund 20 Prozent des sächsischen Stromverbrauchs, nicht ins System eingespeist.
These 3 – „Gas ist keine Brücke mehr” bzw. wir brauchen doch aber das billige russische Gas für die Energiewende
Dem kann ich nur entgegnen: Die Bundesnetzagentur meldete diese Woche, dass der Gesamtspeicherstand in Deutschland bei 90,07 Prozent liegt. Also trotz der Vertragsbrüche von Russland speichern wir weiter ein und erreichen die neuen gesetzlichen Ziele deutlich vor der Frist. Hier wurde in sechs Monaten aufgeholt, was 16 Jahre lang in die falsche Richtung gelenkt wurde. Dazu kommen noch die LNG-Kapazitäten. Wir werden in der voranschreitenden Energiewende genug Gas haben. Die Brücke bleibt Erdgas. Dieses wird aber in den kommenden Jahren bis zur vollständigen Treibhausgasneutralität 2045 immer weniger benötigt. Es wird durch klimaneutrale, synthetische Gase, wie beispielsweise Wasserstoff, ersetzt werden. Dort braucht es endlich die richtigen Rahmenbedingungen. Das ist auch auf der 2. Wasserstoffkonferenz vergangene Woche ganz deutlich geworden.
Und nochmal: Wir sprechen hier von Spitzenlastkraftwerken. Was wir aktuell erleben, ist ein dauerhafter Zustand von Spitzenlastbedarf in Deutschland, weil über die Hälfte des französischen Atomkraftwerkparks still steht. Damit kommen wir in die paradoxe Situation, dass wir 2022 trotz der hohen Preise mehr Gas als 2021 verbrauchen! Dass wir ein europäisches Verbundnetz haben, mit dessen Hilfe wir solidarisch unsere Nachbarn unterstützen, halte ich in der aktuellen Situation für wichtiger denn je. Dabei wird deutlich, dass auch unsere französischen Nachbarn noch einen weiten Weg zu einem zukunftsfähigen und klimaresistenten Energiesystem haben.
Damit ist klar, dass Erdgas weiterhin als Brückentechnologie genutzt werden kann. Die Frage, wo dieses Gas herkommt und zu welchen Kosten, bleibt jedoch vorerst offen. Denn eines möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen: Russisches Gas war nie billig. Vielleicht haben wir verhältnismäßig geringe Eurobeträge überwiesen, aber der eigentliche Preis ist unsere energiepolitische Souveränität und damit verbunden unsere nationale und europäische Sicherheit. Mit den aktuellen Gaspreisen zahlt die europäische Volkswirtschaft, ja jeder Sachse und jede Sächsin, den vermeintlichen Preisvorteil mit Zins und Zinseszins an Russland zurück. Und das Verhalten Russlands in den vergangenen Wochen und Monaten, in denen Verträge missachtet und gebrochen, Ausreden vorgeschoben und Drohungen ausgesprochen wurden, hat insbesondere eines gezeigt: Russland ist und wird auch auf absehbare Zeit kein vertrauenswürdiger Vertragspartner! Jegliche energiepolitische Entscheidung, die wir von heute an treffen, muss dieser Grundannahme folgen! Der gleiche Fehler darf nicht zwei mal gemacht werden.
Last but not least – natürlich wird auch heute hier wieder die Atomkraft als einzig wahre Lösung propagiert. Das ist ja schon fast ein Reflex bei einigen Leuten, daher nur zwei Aspekte: Aktuell laufen die drei Atomkraftwerke noch und wir haben trotzdem ein Preisproblem. Offenbar ist der Einfluss auf den Preis also minimal, was auch diverse Studien bestätigen. Zur Versorgungssicherheit benötigen wir die Atomkraftwerke auch nicht, was der Stresstest bestätigt hat. Fazit: Atomkraft bekommt im Verhältnis zu ihrem Beitrag zur Problemlösung viel zu viel Aufmerksamkeit und verdeckt dadurch die echten Probleme. Etwa das „Leck”, das Söder und Merz anscheinend nicht gesehen haben?
Daher nehme ich mir an dieser Stelle die Freiheit, hier heute kein Wort mehr darüber zu verlieren – dafür gibt es dann ja morgen wieder einen „tollen“ Antrag zum Thema …
Kommen wir zum Abschluss nochmal zurück zur Ausgangsfrage: Wie können wir die Energiewende in Sachsen bewältigen? Staatsminister Günther hat bereits viele Punkte erwähnt, ein paar davon möchte ich gern nochmal aufgreifen. Wir brauchen endlich einen Turbo beim Ausbau der Windkraft. Sachsen ist Letzter. Das kann so nicht bleiben. Es müssen schnellstmöglich die Flächenziele des Bundes für Windkraft erfüllt werden. Wenn wir hier nicht selbst gestalten, werden wir gestaltet. Wir BÜNDNISGRÜNE nehmen selbstverständlich unsere Verantwortung in Zeiten von Energie-, Biodiversitäts- und Klimakrise an und lösen uns unter ganz bestimmten Vorraussetzungen vom Nein bei Windkraft im Wald. Aber, wir können und werden nicht eine Krise zu Lasten der anderen lösen. Ich möchte an dieser Stelle auch noch mal an den vom Sächsischen Landtag beschlossenen Entschließungsantrag zur Bauordnung erinnern. Die dort enthaltene Flexibilisierungsoption wird den Kommunen, die wollen, die Möglichkeit eröffnen, unabhängig von den schwerfälligen Regionalplanungen kurzfristig Flächen zu erhalten. Außerdem müssen kurzfristig alle in der Planung weit fortgeschrittenen Projekte endlich genehmigt und umgesetzt werden. Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen liegt nach neuem EEG im überragenden öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit. Von daher verstehe ich nicht, warum der Windpark in Oederan oder die Solarthermieanlage in Leipzig in der aktuellen Situation wegen völlig absurden Begründungen verhindert werden. Anscheinend ist der Druck immer noch nicht groß genug.
Auch beim Ausbau der Fotovoltaik können wir noch besser werden. Dazu haben wir auch nachher noch einen Antrag im Plenum. Ich freue mich, dass der Freistaat in Zukunft hier seiner Vorbildrolle gerecht wird. Aus BÜNDNISGRÜNER Sicht ist jedoch klar, dass zukünftig alle neuen Gebäude eine Solaranlage haben sollten und Bestandsgebäude nach Möglichkeit nachgerüstet werden. Ich freue mich jedenfalls, dass bürokratischen Hürden durch den Bundesgesetzgeber abgebaut werden und Solarstrom bald auch in jeder Mietwohnung nutzbar sein wird. Auch Freiflächen-Solaranlagen werden zukünftig eine größere Rolle spielen müssen. Hier ist zu beachten, dass nach Möglichkeit die ökologische Wertigkeit der genutzten Flächen durch schlüssige Gesamtkonzepte erhöht wird. Wie bei Windkraftanlagen sind Natur- und Artenschutz in diesem Zusammenhang zu beachten.
Abschließend noch das Thema der Bergbaufolgeflächen: Zwar bieten diese teilweise erhebliche Potenziale, um auch erneuerbare Energien auszubauen. Allerdings müssen wir hier aufpassen, dass nicht das alte Monopol der Energieerzeugung durch ein neues ersetzt wird. Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – von daher halte ich es nur für fair, wenn auch Energiegenossenschaften und kommunale Unternehmen vor Ort immer partizipieren können.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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