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Der urbane Osten tickt anders: Grüne Perspektiven auf die Bundestagswahl 2017 in Leipzig

Seit der Bundestagswahl im letzten September ist “Osten” plötzlich wieder ein Thema, über das man gern und viel spricht, wenn man relevant sein will – rätselnd und vom Erdrutschsieg der Rechten fasziniert, schauen alle auf uns, schauen vor allem auch auf uns in Sachsen und fragen sich, wie im Stich gelassen sich Menschen hier fühlen und welcher tiefe Riss mitten durch die Gesellschaft geht. Auch die grüne Partei auf Bundesebene fragt sich, warum Grüne, die bundesweit teilweise deutlich hinzugewinnen können, im Osten nahezu flächendeckend verlieren. Auf der Suche nach den Mechanismen dahinter und unseren eigenen Fehlern als Grüne haben wir uns in den letzten Wochen fokussiert mit den Ergebnissen der letzten Wahlen in Dresden und Leipzig beschäftigt und versucht zu verstehen, was sich ändern muss, damit Grüne im Osten erfolgreich die Geschichte weiterschreiben können, die wir in den 80ern mit Umweltbibliotheken und Protesten in der DDR unter teilweise großer persönlicher Repression begonnen haben.

Wir alle kennen die Wählerwanderungsstatistiken vom Abend der Bundestagswahl: Trotz gestiegener Wahlbeteiligung konnten wir als Grüne insgesamt leicht unser Ergebnis verbessern, und den größten Teil der Zugewinne stellten rot-grüne Wechselwähler*innen. Relevante Verluste gab es vor allem in Richtung DIE LINKE. Die Frage, die sich uns vor diesem Hintergrund stellte: Wo sind die rot-grünen Wechselwähler*innen in Leipzig, und gibt es sie überhaupt?

Dazu haben wir uns zuerst die Verluste der SPD in Leipzig im Vergleich zu 2013 angeschaut: Viele kommen ja schnell zu dem Schluss, dass die SPD in Sachsen ohnehin sehr schwach sei und sich hier keine relevanten Verluste zeigen würden. Das kann man für Leipzig so aber nicht bestätigen: Die SPD verliert ohne eine einzige Ausnahme in allen Stadtteilen, in den zentralen Leipziger Stadtteilen sogar jeweils zwischen 6 und 8 Prozent.
Gleichzeitig sehen wir, dass DIE LINKE zwar wie fast überall in Sachsen vor allem in den Außenstadtteilen Leipzigs massiv verliert, aber dafür in einem Großteil der Innenstadtbezirke stark hinzugewinnen kann – im Extremfall bis 10,5 % – im sich wahnsinnig schnell verändernden Viertel um die Eisenbahnstraße im Leipziger Osten.

Im Vergleich zu den anderen Parteien ist die Karte der Zugewinne und Verluste für uns Grüne sehr bunt: Während wir in unseren traditionellen Hochburgen deutlich verlieren, gibt es einige aufstrebende Stadtteile im zentralen Leipziger Westen und Osten, in denen wir hinzugewinnen können. In der Leipziger Peripherie, in denen sowohl SPD als auch DIE LINKE massiv verlieren, können wir in fast allen Stadtteilen unsere Ergebnisse trotz gestiegener Wahlbeteiligung halten.
Manche begründen die Verluste in Schleußig, Connewitz und der Südvorstadt mit der immensen Materialschlacht, die DIE LINKE dort mit Blick auf das mögliche Direktmandat geführt hat. Das blendet aber aus, dass es in ähnlich strukturierten Vierteln Dresdens wie der Dresdener Neustadt ähnlich deutliche Verluste für uns zu verdauen galt.

Die verlorenen Stimmenanteile in unseren drei traditionellen Leipziger Hochburgen wirken umso schwerer, wenn man betrachtet, dass wir in diesen nicht nur relative Stimmenanteile verloren haben, sondern trotz gestiegener Wahlbeteiligung auch absolut an Stimmen verloren haben. Schön ist, wie viele Stimmen wir in den aufstrebenden Vierteln im inneren Leipziger Osten und Westen hinzugewinnen konnten.

Insgesamt konnte das rechte Lager bei dieser Bundestagswahl deutlich stärker Nichtwähler*innen zurückgewinnen als das linke Lager, wenn man den bundesweiten Wählerwanderungsstatistiken glaubt. Dieser Effekt kann anteilig die Stimmenentwicklung in den äußeren Stadtteilen Leipzigs, aber auch z.B. in Gohlis und im Ortsteil Zentrum gut erklären: In diesen Stadtteilen steigt der relative Stimmenanteil der rechten und konservativen Parteien im Vergleich zu 2013 deutlich, bei gleichzeitig gestiegener Wahlbeteiligung. Nicht zu vernachlässigen sind jedoch auch die direkten Stimmen, die AfD gemäß den Wählerwanderungen auf Bundesebene aus dem linken Lager von SPD und Linkspartei gewinnen konnte. Anders aber sieht es in den grünen Hochburgen Schleußig, Südvorstadt, Connewitz und im inneren Leipziger Westen aus: Hier bleiben die Lager trotz gesteigerter Wahlbeteiligung stabil – im rapide gentrifizierenden Volkmarsdorf kann das linke Lager sogar gegen den Trend dazugewinnen. Dabei kommen in unseren Hochburgen zwei Effekte zusammen: Obwohl wir dort Stimmen, sowohl relativ als auch absolut, verlieren, kann man das nicht mit einem relativen Erstarken des rechten Lagers erklären: In diesen Vierteln verlieren wir, obwohl der Anteil links-progressiver Wähler bei gesteigerter Wahlbeteiligung eigentlich konstant bleibt: Das ist kein gutes Zeichen für uns: Als Botschaft für die kommenden Jahre könnten wir für uns vor allem zwei Punkte ableiten:

  1. In unseren drei südlichen Hochburgen können wir uns unsere Verluste nicht mit einer gesteigerten rechten Wahlbeteiligung schönreden.
  2. Es gibt Stadtteile, die sich so stark wandeln, dass sie aufgrund ihrer geänderten soziodemografischen Zusammensetzung dem Bundestrend Rechtsruck trotzen können.

Diese Entwicklung ist nicht unbedingt neu: Wir haben nicht zum ersten Mal in unseren Hochburgen verloren. Bereits vor vier Jahren mussten wir beispielsweise in Schleußig deutliche Einbußen hinnehmen: Ein Stadtteil, in dem wir in acht Jahren knapp 10 % verloren haben. Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Südvorstadt.

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Viertel wie Lindenau, die früher nicht zu unseren Hochburgen gehörten, haben dagegen in den vergangenen Jahren ihre grünen Ergebnisse deutlich besser gehalten – sodass sie 2017 auf gleichem Niveau wie die alten Hochburgen liegen. Auch in Vierteln wie Zentrum Nordwest und Zentrum Südost verlieren wir zu 2009 und 2013 deutlich, hier jedoch ohne dass die Linkspartei im Gegenzug deutlich hinzugewinnen könnte.

Die Piraten konnten 2013 insbesondere in den Vierteln, in denen auch wir stark sind, teilweise hohe einstellige Ergebnisse verbuchen.

Nachdem die Piraten zur Bundestagswahl 2017 keine signifikante Rolle mehr gespielt hatten, stellen sich die Ergebnisse von Die Partei 2017 in abgeschwächter Form in ihrer Verteilung über die Stadt ähnlich zu den Piraten-Ergebnissen von 2013 dar – in Connewitz holt Die Partei 6%.

Das heißt nicht, dass die ehemaligen Piraten-Wähler*innen zur Partei gewechselt sind, aber es zeigt, dass eine satirische Protestpartei insbesondere in den zentralen Stadtteilen Leipzigs teilweise signifikante Prozente holen kann, auch nach dem Niedergang der Piraten.

Was bleibt nach all dem für uns als Erkenntnis? Erstens müssen wir wahrscheinlich davon ausgehen, dass es die klassischen rot-grünen Wechselwähler*innen im Osten vielleicht in dieser Form nicht gibt, dass die Linkspartei hier, weil deutlich gemäßigter als in den alten Bundesländern, vielen frustrierten SPD-Wähler*innen näher erscheint als die Grünen. Wir sehen außerdem, dass wir in unseren Hochburgen mit hoher Wahrscheinlichkeit an die Linkspartei verlieren und müssen uns fragen, warum nationalistische und antiliberale Wagenknechts in den progressiven Epizentren unserer Städte zunehmend punkten können.

Ein Beitrag von Paula Piechotta und Daniel Gerber.


Die Daten für die Auswertung wurden vom Amt für Statistik und Wahlen der Stadt Leipzig im CSV Format bereitgestellt. Vielen Dank! Sie wurden von uns in eine PostgreSQL Datenbank mit Postgis Erweiterung importiert und dann mittels des Open Source geographischen Informationssystems QGIS analysiert und visualisiert. Die entsprechenden Tabellen bieten wir hier zum Download an. Die Daten können mittels psql -U $NUTZER -d $DATENBANK -f btw13_17_leipzig.sql importiert werden. Solltest du noch Fragen zu den einzelnen Karten haben, zögere bitte nicht die in einem Kommentar an uns zu stellen!

Dieser Beitrag ist, sofern nicht anders angegeben, nach Creative Commons Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0  lizensiert.

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