Meine Gegenrede im Sächsischen Landtag zum Antrag der Fraktion AfD: „Wiedereinstiegsprogramm Kernenergie – Eine echte Chance für die Lausitz“ (Drucksache 7/10888)
57. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 22.09.2022, TOP 8
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
und ständig grüßt das Murmeltier. Schon wieder kommt die AfD mit einem Antrag zur Zombiedebatte Atomkraft. Mich persönlich stört das nicht, kann ich doch Reden recyceln und mit den neuesten Horrormeldungen aktueller AKW-Bau-Projekte garnieren.
Was ich allerdings in dieser ganzen Diskussion nach wie vor nicht verstehe: Warum brauchen wir neue Atomkraftwerke überhaupt? In ihrem Paralleluniversum gibt es ja keinen menschengemachten Klimawandel. Warum dann überhaupt Kohleausstieg? Wollen sie uns etwa mit dem Uran und Brennstäben in eine neue Abhängigkeit mit Russland führen? Und warum eigentlich genau ein neues Kraftwerk? Wenn ich Lippendorf und Boxberg zusammenrechne, dann erscheint mir da ein sehr erheblicher Fehlbetrag in ihrer Milchmädchenrechnung. Das kann nur zum Blackout führen! Aber Schwamm drüber, kann passieren. Sie fordern das ja erst seit ein paar Jahren.
Das Kernargument des Antrages ist die steile These, Kernenergie sei eine günstige, zuverlässige Technologie für die Energieversorgung der Zukunft. Lassen Sie uns doch diese Punkte etwas genauer anschauen.
Zum ersten Punkt, den Kosten
Laut aktuellen Auswertungen betragen die Stromgestehungskosten von neuen Kernkraftwerken – darum geht es hier ja – etwa 13 bis 20 Cent pro Kilowattstunde. Damit sind selbst kleine PV-Anlagen, die etwa bei 12 Cent pro Kilowattstunde liegen, absolut konkurrenzfähig.
Eindrücklicher wird die Kostenfrage, schaut man sich konkrete Projekte moderner Reaktoren in Europa – um die es hier ja ebenfalls geht – an:
Der neueste Reaktorblock Europas steht in Finnland. Geplant wurde er mit einer Bauzeit von vier Jahren und drei Milliarden Euro Kosten.
Das klingt nicht schlecht, oder?
Fertiggestellt wurde der Block Mitte diesen Jahres mit 13 Jahren Verspätung und etwa elf Milliarden Euro tatsächlichen Baukosten. Ein Block wurde übrigens abgebrochen.
Klingt nicht mehr ganz so gut?
Dann werfen wir noch einen Blick nach Großbritannien. Dort entsteht aktuell das Kraftwerk Hinkley Point C. Die Kosten werden hier binnen vier Jahren zum fünften mal angepasst und auf umgerechnet etwa 30 Milliarden Euro geschätzt, geplant waren 19 Milliarden Euro, wobei sich da in den mindestens noch fünf Jahren bis zur Fertigstellung ja noch einiges ändern kann.
Um überhaupt eine Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten, hat der Betreiber EDF staatliche Subventionen in Form eines garantierten Stromabnahmepreises zur Bedingung für den Bau gemacht. Rechnet man das alles zusammen, kommen über die Lebensdauer des Kraftwerkes staatliche Subventionen von etwa 100 Milliarden Euro zusammen.
Das gleiche Spiel wiederholt sich in Flamanville in Frankreich. Die Kosten wurden von 12,4 Milliarden Euro auf 19,1 Milliarden Euro hochgestuft und die Inbetriebnahme auf nächstes Jahr verschoben. Klingt, finde ich, nicht gerade kostengünstig. Allein für die 60 Milliarden Euro Baukosten könnte man rund 10.000 sechs Megawatt Windkraftanlagen bauen, von den Subventionen ganz zu schweigen.
Als nächstes zur Zuverlässigkeit
Diese Behauptung erscheint vor der aktuellen Situation des europäischen Kraftwerksparks als absolut höhnisch.
Über die Hälfte der französischen Kernkraftwerke steht noch immer still – teils wegen technischer Probleme, teils wegen zu wenig vorhandenem Kühlwasser in den Flüssen. Meinen Sie denn wirklich, dass die Wasserknappheit, gerade in der Lausitz in den kommenden Jahren besser wird? Die französische Regierung hat bereits ihre Bürgerinnen und Bürger auf geplante Stromabschaltungen im Winter vorbereitet. Und selbst in einem der deutschen noch laufenden Atomkraftwerke wurde jetzt plötzlich eine Leckage festgestellt, die eine größere Wartung benötigt. Ich frage mich wirklich, was bei den Besuchen von Markus Söder und zur Erstellung des vielzitierten TÜV-Gutachtens Mitte des Jahres überhaupt begutachtet wurde.
Fazit
Die Kernenergie ist und bleibt eine Hochrisikotechnologie. Sie ist in Deutschland am Ende. Und das ist gut so. Sie würden auch keinen Betreiber mehr finden, der auf eigene betriebswirtschaftliche Verantwortung ein Kernkraftwerk bauen würde.
Und zum Abschluss möchte ich Ihnen gern noch eine Aussage von Richard Garwin – ein renommierter Kernphysiker aus den USA –, über die ich gestolpert bin, mit auf den Weg geben: „Ein durchschnittliches Atomkraftwerk produziert täglich so viel Radioaktivität wie vier Hiroshima-Atombomben.“
Wir lehnen den Antrag selbstverständlich ab.
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