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Digitaler CO2-Rechner für den Kulturbetrieb – Daten für die Energiewende

Kunst & Kultur sind Motoren des gesellschaftlichen Wandels – in künstlerischen Arbeiten werden gesellschaftliche Fragen unserer Zeit verhandelt. Und das oft progressiv und provokant, wie zum Beispiel im Stück Undine, in dem eine Meerjungfrau ihre Wut über die zerstörerischen Einflüsse des Menschen auf die natürlichen Kreisläufe zum Ausdruck bringt.

Was können Kultureinrichtungen über die Thematisierung in ihren Programmen hinaus tun, um notwendige Schritte zur Vermeidung der Klimakatastrophe zu unternehmen? In Nachhaltigkeitsstrategien haben sich viele Häuser bereits dazu verpflichtet, ihre CO2-Ausstöße zu reduzieren, doch am Controlling hapert es oft noch. Um dies zu ändern, haben sich Dresden und Leipzig 2022 in einem Kooperationsprojekt zusammengeschlossen. Das Projektziel ist, dass Kultureinrichtungen beider Städte eine Treibhausgasbilanz erstellen, um auf dieser Grundlage wiederum Maßnahmen zur Reduzierung der CO2-Emissionen zu ergreifen und so effektiven Klimaschutz zu betreiben. 

Gemeinsam mit meiner Fraktionskollegin Claudia Maicher und der Bundestagsabgeordneten Tabea Rößner habe ich mich Ende Februar mit Vertreter:innen der Stadt Leipzig zu einem interessanten Gespräch über Leipzigs Weg zur Klimaneutralität und den CO2-Rechner im Kulturbetrieb getroffen.

Dr. Skadi Jennicke (Kulturbürgermeisterin), Simone Ariane Pflaum (Leiterin Referat Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz) und Sven Börjesson (Leiter Umwelt- und Transferzentrum, Handwerkskammer zu Leipzig) gaben uns Einblicke, wie die Leipziger Kulturszene zu einer der nachhaltigsten in Deutschland geworden ist: mit dem webbasierten CO2-Rechner für den Kulturbetrieb.

Vom E-Tool des Handwerks zum CO2-Rechner für den Kulturbetrieb

Simone Ariane Pflaum, der sprechende Sven Börjesson und Jakob Freese erklären den CO2-Rechner

Grundlage für diese Innovation in Leipzig waren zwei Entwicklungen:

Zum einen ist es dem Verbundprojekt „Mittelstandsinitiative Energiewende und Klimaschutz“ mit Mitteln des BMWK gelungen, ein Instrument zu schaffen, um das Handwerk bei der Energiewende zu unterstützen und zunächst eine Steigerung der Energieeffizienz in den Betrieben voranzutreiben.

Ziel war es schon damals, die zentralen Emissionsdaten strukturiert zu erfassen, beginnend mit der Sammlung in Ordnern über die Bündelung in einer Excel-Tabelle und ab 2021 als E-Tool-Webportal.

Heute kann das E-Tool Energie- und Emissionsdaten umfassend auswerten, schafft Transparenz über die Berechnungsfaktoren und ermöglicht so eine differenzierte Bilanzierung der Emissionsquellen. Und es steht allen Handwerksbetrieben in Deutschland kostenlos zur Verfügung. Die an den Bedürfnissen der Handwerksbetriebe orientierte Entwicklung setzt sich bis heute fort: So wird an der Weiterentwicklung des E-Tools gemeinsam mit den Kultureinrichtungen agil gearbeitet.

Der zweite Entwicklungsschritt erfolgte parallel 2019 im Leipziger Stadtrat:

Auf Grundlage eines gemeinsamen Stadtratsbeschlusses der Fraktionen BÜNDNIS 90/Die Grünen, Die Linke und SPD wurde auf Antrag des Jugendparlaments 2019 der Klimanotstand ausgerufen.

Darauf aufbauend wurde 2020 ein Sofortmaßnahmenprogramm zum Klimanotstand auf den Weg gebracht, welches das Ziel von klimaneutralen (Kultur-)Veranstaltungen der Stadt Leipzig bereits postuliert. Die letzte Beschlussgrundlage für die „Klimabilanzierung von Kultureinrichtungen und städtischen (Kultur-)Veranstaltungen“ bildet das Energie- und Klimaschutzprogramm EKSP 2030.

Für die Umsetzung des Beschlusses holten sich das Dezernat Kultur der Stadt Leipzig gemeinsam mit dem Amt für Kultur und Denkmalschutz der Landeshauptstadt Dresden Ende 2022 Unterstützung bei der AG Mittelstandsinitiative Energiewende und Klimaschutz, der GICON Großmann Ingenieur Consult GmbH und der WIPS-com GmbH. Denn das Rad musste nicht neu erfunden werden, um herauszufinden, wie viele Emissionen die Kulturinstitutionen der Stadt verursachen.

Anpassungsfähigkeit des E-Tool auf andere Anwendungsfälle und Standards 

Tabea Rößner, Daniel Gerber und Claudia Maicher sitzen am Tisch und schauen die Redner:innen an.

Das wirklich großartige an dem Tool ist, dass es potenziell überall genutzt werden kann- weil nicht nur sowohl die Emissionsdatenquellen als auch angewandte Standards variabel sind. Durch verschiedene Zusatz-Tools können auch betriebliche Veränderungen abgebildet werden, z.B. wenn eine PV-Anlage auf dem Betriebsdach installiert wird, Informationen zum Lastgang analysiert werden sollen oder CO2-Mehrkosten auf die Unternehmen zukommen. 

So funktioniert der CO2-Rechner im Kulturbetrieb

Die Kultureinrichtungen in Leipzig und Dresden können den CO2-Rechner seit 2022 kostenlos nutzen. Vor dem Anwendungsstart wurden Mitarbeitende in Workshops eingeladen, um das E-Tool auf die Anforderung ihres Hauses zu konfigurieren. In weiteren Schulungen mit Mitarbeitenden der Kultureinrichtungen und Veranstalter:innen wurden diese in die Lage versetzt, das E-Tool eigenständig zu benutzen. 

Bei der Bilanzierung richtet sich das Tool nach dem global anerkannten Standard des Greenhouse Gas Protocols (GHG). Dabei wird nach Scope 1, Scope 2 und Scope 3 unterschieden:

  • Scope 1 bezieht alle direkten, d. h. aus Quellen innerhalb der eigenen Grenzen stammenden Emissionen ein
  • Scope 2 fasst die indirekten Emissionen aus außerhalb erzeugtem und eingekauftem Strom, Dampf, Wärme und Kälte entstehenden Emissionen zusammen 
  • und Scope 3 ist die strengste Kategorie, die alle sonstigen indirekten Emissionen entland der Wertschöpfungskette zusammenfasst, darunter die aus Herstellung und Transport eingekaufter Güter oder Verteilung und Nutzung der eigenen Produkte oder der Entsorgung von Abfällen; auch Emissionen aufgrund von Geschäfts-oder Publikumsanreisen fallen darunter

Ziel im Kulturbereich: Ab 2030 handelt die Stadt klimaneutral, ab 2040 wird sie klimaneutral

Heute ist der CO2-Rechner für die Kulturbetriebe im Energie und Klimaschutzprogramm 2030 als Maßnahme gelistet. Die Teilnahme am EU-Aufruf „100 klimaneutrale und intelligente Städte bis 2030“ festigt das Ziel der Stadt Leipzig, europäische Leuchtturmstadt in Sachen Klimaneutralität zu werden.

Dafür will Leipzig bis 2030 klimaneutral handeln (Scope 1 & 2) und ab 2040 klimaneutral werden (Scope3). Um das Vorankommen zu bilanzieren, muss das E-Tool auch alle indirekten Emissionen der Kultureinrichtungen und -veranstaltungen abbilden. Darunter fallen beispielsweise der Transport von Gemälden und Ausstellungsstücken, der Einkauf von Stoffen und Materialien zur Kostümanfertigung, Bühnenbild, Ausstellungsaufbau etc., der (internationale) Tournee- und Gastspielbetrieb, die Anreise von Publikum und Gastkünstler:innen oder Leistungen von beauftragten Dritten wie Cateringfirmen. 

Der Emissionsrechner ist noch in Arbeit, soll aber im Ergebnis einen vollständigen CO2-Fußabdruck gewährleisten, der erstmals alle direkten und indirekten Emissionen von Kultureinrichtungen und -veranstaltungen berücksichtigt.

Heute können Kulturbetriebe, Freie Szene und Solokünstler:innen in Leipzig und Dresden das E-Tool Kultur kostenlos nutzen.

Mein Fazit

Ich finde, das Tool ist eine großer Gewinn für das Vorankommen bei der Klimaneutralität, weil es Maßnahmen monitort und uns Rückschlüsse auf Schwachstellen erlaubt. Nur durch dieses Wissen, können wir wirkungsvolle Maßnahmen auch ergreifen und nachjustieren.

Und es bietet Flexibilität, sowohl bei möglichen Anwendungsfeldern als auch bei der gewünschten Standardisierung. Skalierbar wäre das Tool beispielsweise relativ einfach in der Verwaltung, im Tourismus oder Sozialen Bereich. Die Anwendung in Schulen, Universitäten oder Bibliotheken ist ebenfalls sinnvoll.

Zudem gibt es auf EU-Ebene gerade einen ersten Entwurf zum „Voluntary SME-Standard“ (VSME). Das freiwillige Instrument soll kleine und mittelständische Unternehmen in die Lage versetzen, ihre Nachhaltigkeitsziele und -projekte einfacher zu dokumentieren und wäre ein neuer Standard für die Bewertung der erhobenen Daten, dessen Einbindung gerade vorbereitet wird.

Der einzige Wermutstropfen ist meiner Meinung nach, dass der CO2-Rechner nicht als Open Source-Software veröffentlicht ist.

Vielen Dank für die spannenden Einblicke in den aktiven Klimaschutz der Stadtverwaltung und die engagierte Vorreiterrolle des Kulturdezernats!

Weitere Quellen

  • Präsentation 26.2.2024 „E-Tool Kultur“ – webbasierter CO2-Rechner für den Kulturbetrieb
  • Dr. Andrea Hensel „Klimaschutz: Status Quo, Kultur?“ In: IV/2023. 56. Kulturpolitische Mitteilungen. Nr. 183

Dieser Beitrag ist, sofern nicht anders angegeben, nach Creative Commons Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0  lizensiert.

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