Meine Rede im Sächsischen Landtag zur Zweiten Aktuellen Debatte der Fraktion BÜNDNISGRÜNE: „Sachsen bleibt Energieland: Energiewende beschleunigen, Wirtschaftsstandort absichern“
90. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 13.06.2024, TOP 2
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
kaum ein Thema hat die vergangenen fünf Jahre in unserem Freistaat so maßgeblich geprägt wie die Energiepolitik. Manchmal ging es vergleichsweise sachlich und lösungsorientiert zu, meistens landeten viele Zwischenrufe im Plenarprotokoll.
Zum Ende der Legislatur ist festzuhalten: Wir haben es endlich geschafft, den Paradigmenwechsel in Sachsen bei der Energiewende einzuleiten und voranzutreiben. Und wir legen damit den Grundstein, dass Sachsen künftig Energieland bleibt. Auch nach dem Ende der Kohleverstromung.
Mit Blick auf die Wahlergebnisse vom Wochenende bleibt aber festzuhalten, dass der Klimaschutz, und das ist ja der Grund für die Energiewende, nicht mehr so relevant für die Bürgerinnen und Bürger zu sein scheint. Das liegt zum einen an Kommunikationsfehlern, die auch wir Grüne, auch ich, gemacht haben. Zum anderen wurde das Vertrauen in die Energiewende immer wieder von verschiedenen Akteuren versucht auszuhöhlen. Statt einer positiven Zukunftserzählung, die unser aller Lebensgrundlagen schützt, wird Angst geschürt, mit Vorurteilen gespielt und Wissenschaft geleugnet. Ich antizipiere, dass dieser Versuch erneut unternommen wird, und werde die Argumente in der ersten Runde daher gleich im Vorfeld ausräumen.
Die Einschätzung, die Energiewende wäre gescheitert, könnte falscher nicht sein.
Wie kann eine Energiewende gescheitert sein, bei der allein in Sachsen 2023 und sogar im 1. Halbjahr 2024 Ausbaurekorde für Fotovoltaik stattfanden, mit 800 MW Windkraftanlagen im Genehmigungsverfahren auch endlich Schwung in dieses Feld kommt, 700 Millionen Euro für die Landwerke Mittelsachsen in Rekordzeit zusammenkommen und selbst die LEAG eine 7 GW Factory plant?
Wie kann eine Energiewende gescheitert sein, bei der allein die Windkraft 2023 einen Anteil von 31 Prozent an der Stromerzeugung in Deutschland hat und 56 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energieträgern kamen? Die Erneuerbaren sind mittlerweile zentraler Bestandteil des Energiesystems und sorgen seit Jahren für eine stabile und zuverlässige Stromversorgung. Damit rutscht die Braunkohle auf ein Rekordtief auf dem Niveau von 1959! Auch wenn der Ministerpräsident gestern wieder den Kohlekompromiss mutwillig falsch gedeutet hat, wird die Kohleverstromung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich aus rein marktwirtschaftlichen Gründen weit vor dem 31. Dezember 2038 beendet. Darauf gilt es als Energieland vorbereitet zu sein.
Wie kann eine Energiewende gescheitert sein, wenn die Internationale Energie Agentur sagt, dass 2024 doppelt soviel in Erneuerbare investiert wird wie in Fossile, in 2023 mit über 36 Millionen deutlich mehr für die Erneuerbaren als für die Fossilen arbeiten und China einen erneuerbare Rekord nach dem anderen baut. Neueste Projekte: ein 5 GW Solarpark, zehnmal so groß wie der größte europäische, und ein 100 MWh Natrium-Ionen Speicher, der künftig Strom für 0,03 $/kWh ins Netz speisen wird. Viel Erfolg dabei, da im Wettbewerb mit einem AKW zu bestehen. Die CO2-Emissionen von China sind im März übrigens um 3 Prozent gefallen und es gibt erste Analysen, die von einem möglicherweise überschrittenen Höhepunkt der Emissionen ausgehen. Damit zählt auch die Ausrede „die anderen müssen jetzt erst mal liefern” nicht mehr.
Wir müssen die Energiewende nicht neu denken, wie gestern erneut von Michael Kretschmer gefordert, sondern wir müssen sie beschleunigen, denn die alte sächsische Maxime „jedes neue Windrad schadet der Braunkohle”, schadet der Energiesicherheit und damit auch der Wirtschaft des Freistaats.
Ein Jahr nach dem finalen Atomausstieg können wir konstatieren, dass die Energieversorgung gesichert ist. Gleichzeitig ging der monatliche Strompreis im Großhandel von März 2023 bis März 2024 um fast 40 Prozent zurück und ist damit auf Vorkriegsniveau. Auch die CO2-Emissionen sind im Vergleich zu 2022 um 20 Prozent gesunken, die Redispatchkosten in 2023 um über eine Milliarde Euro gesunken. Was nicht passiert ist, sind Blackouts. Wenn führender deutscher Politiker wie Söder oder Merz der Bundesregierung öffentlich unterstellen, bewusst einen Blackout herbeizuführen, dann untergräbt dieser Populismus das gesamte System. Tatsächlich bedenklich sind die 2022 bekannt gewordenen Aktivitäten der Gruppe „Patriotische Union”, die durch Anschläge auf das Stromnetz einen Blackout samt bürgerkriegsähnlicher Zustände inklusive politischen Umsturz herbeiführen wollten. Unter den Angeklagten befindet sich übrigens auch eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete.
Und wenn ich jetzt höre, dass die Union auf Bundesebene einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Atomkraft einberufen möchte, dann mag das ein legitimes Instrument der Opposition sein, aber auch der billige Populismus nicht offensichtlicher. Untersuchungsausschüsse werden eingerichtet, um Schaden, der dem Land entstanden ist, aufzuklären. Hier ist kein Schaden entstanden. Die viel wichtigere Frage, die es unbedingt aufzuklären gilt, ist: Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass Deutschland in eine so dermaßen einseitige Abhängigkeit bei den Energieimporten von Russland kommen konnte? Wie kann es sein, dass diese Abhängigkeit trotz Einmarsch Russlands auf der Krim noch mal um 10-Prozent-Punkte gestiegen ist? Hier ist ein ernsthafter Schaden für die Bundesrepublik entstanden. Den sollte man aufklären und endlich diese Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg-Debatte ad acta legen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
im Hinblick auf die Tatsache, dass dies hier meine letzte Rede im Sächsischen Landtag ist, möchte ich noch einmal grundsätzlicher werden.
Allein in den fünf Jahren, in denen wir hier mühsam um den kleinsten gemeinsamen Nenner gefeilscht haben, ist die globale Erderwärmung um 13 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist das Überschreiten des 1,5 Grad Ziels innerhalb von nur fünf Jahren um drei Jahre nach vorn gerutscht und wird nach den Copernicus-Daten nun im Juli 2033 erreicht. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnte schon der nächste Sächsische Landtag live beim Bruch des Pariser Klimaabkommens dabei sein. Das bedeutet: mehr Kosten, mehr Wetterextreme, angespanntere Lieferketten, mehr Migrationsbewegungen usw.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich bin Wissenschaftler und ich habe mich in den vergangenen Jahren quer durch sehr, sehr viele Studien zu unterschiedlichsten Klimathemen gelesen. Ein Zitat ist mir besonders in Erinnerung geblieben:
„Das Zeitfenster, in dem eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle gesichert werden kann, schließt sich rapide (sehr hohes Vertrauen).”
Zu diesem drastischen Schluss kommt der IPCC in seinem letzten Bericht. Diese auf den ersten Blick angsteinflößende Aussage kann man aber auch positiv auslegen. Noch ist das Zeitfenster offen. Noch können wir gemeinsam handeln. Noch können wir gemeinsam die Probleme bewältigen. Das funktioniert allerdings nicht, wenn allein den Grünen die Zuständigkeit für Klimaschutz zugeschrieben wird. Es muss die Aufgabe aller Parteien sein, ihre Ziele im Einklang mit den planetaren Grenzen zu erreichen. Jeder Sektor muss seinen Beitrag leisten, egal ob Bauen, Verkehr oder Energie.
Ich frage mich ernsthaft, was noch passieren muss, bis sich die Erkenntnis durchsetzt, dass das Problem vielleicht doch größer und drängender ist als angenommen. Wie viele Millionen Euro müssen denn noch im Landeshaushalt in die Bewältigung von Klimawandelfolgen gesteckt werden, bis das Umdenken endlich einsetzt? Stichwort Borkenkäfer, Stabilisierung des Wasserhaushalts oder jetzt das zähe Ringen um die Hilfen für Obstbäuerinnen und Winzer.
Um das noch mal ganz deutlich auszusprechen: Ich finde es absolut unverantwortlich, wenn sich der Ministerpräsident hinstellt und die Energiewende in gewohnter AfD-Manier als gescheitert abstempelt. Selbstverständlich ohne Rücksprache mit dem Fachressort und für deren Umsetzung er am Ende auch Verantwortung trägt. Auch gestern in der Regierungserklärung wurden erneut die 1.200 Milliarden Euro aus der BDEW/EY Studie in das erneuerbares Energiesystem angesprochen. Zum wiederholten Male werden hier Investitionen mit Kosten verwechselt. Dieser Unterschied sollte eigentlich klar sein.
Es geht bei der Energiewende um die vollständige Ablösung fossiler Rohstoffe, also um eine Senkung der laufenden Kosten. In der Vergangenheit hatte man doch auch keine Probleme damit, Gelder in ungefähr gleicher Höhe für fossile Brennstoffe von aus heutiger Sicht Kriegsverbrecherregimen zu importieren. Eine solche Investition wäre schon nach wenigen Jahren rentabel und kann, wie die Studienautoren ebenfalls beschreiben, aber gestern leider vergessen wurde zu erwähnen, „in erheblichem Umfang Wachstum und regionale Wertschöpfung generieren”. Und genau das führt auch aus der Rezession. Es macht uns unabhängig, souveräner in der Energieversorgung und hilft bei der Erreichung der Klimaneutralität. Dadurch bleibt Sachsen Energieland.
Ich kann nur raten, in Zukunft weder die Energiewende für erfolglosen Stimmenfang zu opfern, noch einen Koalitionspartner, der diesen Umbau positiv begleiten möchte, als Hauptgegner auszurufen. Dass diese Strategie nicht funktioniert und wer dieser Hauptgegner in Sachsen sein sollte, muss doch mindestens seit dem letzten Wochenende klar sein.
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